Rede | Familien sind vielfältig
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Wir Grünen wollen die Familienförderung endlich vom Kopf auf die Füße stellen, und zwar insbesondere dadurch, dass wir jedes Kind fördern wollen. Sie wollen nur einen Teil der Kinder fördern. Wir wollen jedes Kind fördern, unabhängig davon, welches Einkommen die Eltern haben, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind, ob es ein oder zwei Elternteile gibt. Das machen wir mit einer Kindergrundsicherung; wir haben dazu ein konkretes Konzept vorgelegt, das wir nach der Bundestagswahl auch umsetzen wollen.
Sitzung des Deutschen Bundestages am 23.04.2021
Redeprotokoll
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollten wir jetzt vier Anträge der AfD diskutieren; es ist schon gut, dass es nur zwei sind. Das heißt, wir müssen uns nur mit 50 Prozent des Schrotts beschäftigen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michaela Noll (CDU/CSU))
der vielleicht auf der Tagesordnung gestanden hätte. Wenn es nicht so traurig wäre, wären diese Anträge fast zum Lachen.
Besonders krude ist der Antrag, der mit „Kinderkredit“ überschrieben ist. Das klingt erst mal nach DDR – normalerweise werfen Sie das immer den Kolleginnen und Kollegen aus der Linksfraktion vor -: In der DDR gab es ja den Ehekredit; es fehlt nur noch das Abkindern, das haben Sie in dem Antrag noch vergessen. Aber dieser Kinderkredit – die Kollegin Tillmann hat es schon gesagt – wird an Bedingungen geknüpft. Das heißt, ein großer Teil der Menschen, die einen solchen Kinderkredit vielleicht wirklich brauchen könnten, sind da außen vor. Besonders krass ist dann eine Bedingung, die heißt – das muss ich tatsächlich vorlesen, weil ich mir das so schwer merken kann -: „Die Vergabe des Kredites ist daran zu knüpfen, dass eine Vaterschaftsanerkennung vorliegt.“
(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Also, ganz offensichtlich können Sie sich in der AfD nicht vorstellen, dass Kinder auch nur von Müttern erzogen werden. Kollegin Tillmann hat darüber gesprochen; sie ist selber Alleinerziehende. Es gibt alleinerziehende Mütter, die ihre Kinder ohne Vater erziehen, und das geht auch gut.
(Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Ja! Wahnsinn! – Kerstin Kassner (DIE LINKE): Tausende! – (Beatrix von Storch (AfD): Sie hören doch nicht zu! Davon hat er doch gar nichts gesagt!)
Aber offenbar können sich die Herren in der AfD – es sind ja überwiegend Herren bei Ihnen – nicht vorstellen, dass Kinder ohne Vater groß werden. Das ist auch klar; es passt ja auch zu dem Familienbild: Der Vater muss das Geld ranschaffen, und die Mutter bleibt zu Hause. Das ist das alte Familienbild der AfD.
(Beifall der Abg. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Martin Reichardt (AfD): Das steht da überhaupt nirgends drin! Das ist alles dummes Zeug!)
Ich habe mich über noch eines gewundert; denn Sie machen eine Ausnahme davon. Sie schreiben: „Bei verheirateten Paaren entfällt diese Voraussetzung.“ Das heißt also, wenn zwei Frauen verheiratet sind, kriegen sie auch den Kinderkredit, obwohl kein Vater vorhanden ist.
(Johannes Huber (AfD): Na also!)
Also dass es den Kredit ohne Ausnahmen für schwule oder lesbische Ehepaare gibt – als so fortschrittlich hätte ich Sie gar nicht eingeschätzt! Herzlichen Glückwunsch! Aber wahrscheinlich ist Ihnen das nur nicht aufgefallen, weil Sie immer noch in den Gedanken der 50er-Jahre verhaftet sind, oder manche von Ihnen sind ja in den Gedanken der 30er-Jahre verhaftet. – Dieser Antrag ist völliger Schrott.
(Johannes Huber (AfD): Was jetzt? Das eine oder das andere?)
Zum Thema Familiensplitting haben die Kolleginnen und Kollegen von den demokratischen Parteien bzw. Fraktionen schon ganz viel gesagt. Auch diese Vorschläge sind rein inhaltlich schon unterirdisch, aber von den Verteilungswirkungen fatal und überhaupt nicht gegenfinanziert.
(Martin Reichardt (AfD): Was kostet denn Ihre Energiepolitik? Die ist doch auch nirgends gegenfinanziert! – Gegenruf der Abg. Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Das Familiensplitting – Kollege Schrodi hat es angedeutet – schafft genauso wie das Ehegattensplitting Anreize für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Das wollen Sie natürlich; aber wir wollen weg von diesen geschlechtsspezifischen ökonomischen Anreizen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Sie sollen die Wahlfreiheit haben, wie ihre Kinder erzogen werden. Die Welt der Familien ist viel bunter, als Sie sich das überhaupt vorstellen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt eben nicht nur Vater, Mutter, Kind; vielmehr gibt es zwei Mütter, zwei Väter, eine Mutter, einen Vater; es gibt auch eine Mutter und einen Vater.
(Beatrix von Storch (AfD): Drei Väter und zwölf Mütter!)
Es gibt diese vielfältige Welt der Familien, und die wollen wir Grünen stärken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich habe noch Gelegenheit – ich habe noch zwei Minuten -, zu verdeutlichen, was bei der Familienförderung wirklich wichtig wäre. Wir Grünen wollen die Familienförderung endlich vom Kopf auf die Füße stellen, und zwar insbesondere dadurch, dass wir jedes Kind fördern wollen. Sie wollen nur einen Teil der Kinder fördern. Wir wollen jedes Kind fördern, unabhängig davon, welches Einkommen die Eltern haben, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind, ob es ein oder zwei Elternteile gibt. Das machen wir mit einer Kindergrundsicherung; wir haben dazu ein konkretes Konzept vorgelegt, das wir nach der Bundestagswahl auch umsetzen wollen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sagen: Jedes Kind soll gleich viel bekommen; wir nennen das Garantiebetrag. Und zwar – ähnlich wie es der Kollege Müller von der Linken und der Kollege Schrodi beschrieben haben – sollen nicht wir, die ein hohes Einkommen zur Verfügung haben, noch mehr profitieren als diejenigen mit mittlerem Einkommen. Viele wissen nicht, dass über die Kinderfreibeträge die Reichen in diesem Land mehr für ihre Kinder bekommen als Menschen mit mittlerem Einkommen.
(Sebastian Brehm (CDU/CSU): Zahlen ja auch mehr Steuern!)
Das ist ungerecht, und das wollen wir verändern.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)
Diese Seite des Hauses ist sich über das Ziel einig. Die Union hat gesagt, sie wolle die Kinderfreibeträge sogar noch erhöhen, das heißt, dieser Effekt würde sogar noch verstärkt. Das macht noch mal deutlich, worum es bei der nächsten Bundestagswahl geht, nämlich um Grün oder Schwarz. Wir werden dann fundiert, auf Fakten basierend, und mit vernünftigen Konzepten darüber streiten können. Das, was die AfD vorlegt, kann man ja vergessen.
Wir wollen die Kindergrundsicherung, und – zweitens – wollen wir endlich weg von diesem bekloppten Ehegattensplitting; wir wollen weg von diesen Anreizen, wir wollen weg von der Förderung, die an die Ehe geknüpft ist; wir wollen die Kinder fördern, und wir wollen hin zu einer Individualbesteuerung.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Martin Reichardt (AfD): Was Sie mit Kindern wollen, das wissen wir! Da hat sich Ihre Partei schon mehrfach hervorgetan!)
Diese Individualbesteuerung wollen wir mit einem doppelten, übertragbaren Grundfreibetrag versehen. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir wollen das für die Neuehen einführen; aber damit kommen wir endlich weg von dem alten Modell aus den 50er-Jahren hin zu einer modernen Familien- und Kinderförderung, die wirklich notwendig ist, ohne Ehegattensplitting und mit einer Kindergrundsicherung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das ist der Weg, den wir gehen müssen, und nicht der Schrott, den die AfD vorlegt.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)