Antrag | Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung weiterentwickeln

Der Arbeitsmarkt wird sich aufgrund der demographischen Entwicklung, der Digitalisierung, der Migrationsbewegungen, aber auch aufgrund der notwendigen sozial-ökologischen Modernisierung der Wirtschaft grundlegend verändern. Erwerbsverläufe
und Beschäftigungsverhältnisse werden bunter und vielfältiger. Um diese Entwicklungen positiv zu gestalten, muss die bestehende Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterentwickelt werden, die nicht nur Arbeitslose, sondern auch
Erwerbstätige unterstützt.
Für all diese Herausforderungen ist berufliche Weiterbildung ein zentraler Schlüssel.
Mit dem Qualifizierungschancengesetz wurden bereits erste Schritte in die richtige
Richtung unternommen, die aber noch nicht weit genug gehen. Eine echte Arbeitsversicherung muss lebensbegleitendes Lernen erleichtern, fördern und ein zentraler Baustein einer neuen Weiterbildungskultur werden. Mit gut aufgestellten Bildungsagenturen soll es eine zentrale Anlaufstelle für alle geben, die Fragen zur Weiterbildung haben. Hier werden Arbeitende und Arbeitslose bei der Planung ihres weiteren Berufslebens unterstützt. Sorgen um ihr Auskommen werden sie sich dafür nicht machen,
denn durch ihr Recht auf Weiterbildung erhalten sie auch einen ausreichenden Einkommensersatz für die Zeit der Weiterbildung. Auch Unternehmen können sich in den
Bildungsagenturen beraten lassen. Die Arbeitsversicherung sorgt auch dafür, dass eine
drohende Arbeitslosigkeit keine existenzielle Bedrohung mehr ist, sondern eine
Chance auf Weiterentwicklung. Arbeitsförderung auf Augenhöhe verbunden mit einer
guten finanzieller Absicherung sind dabei Voraussetzungen für eine nachhaltige Vermittlung in Beschäftigung.
Seit Anfang der 1990er-Jahre haben sich so genannte atypische Beschäftigungsverhältnisse mehr als verdoppelt und die Zahl der (Solo-)Selbstständigen ist angestiegen.
Auch die Erwerbsbiografien sind vielfältiger geworden: Erwerbstätige wechseln öfter
den Betrieb, sind mal selbstständig, mal abhängig, mal in Vollzeit und gelegentlich in
Teilzeit beschäftigt.

Vor allem durch die Digitalisierung werden sich diese Prozesse weiter beschleunigen.
Es entstehen neue Arbeitsformen, die mit mehr Freiheit und Selbstbestimmung, aber
auch mit Unsicherheit und Abhängigkeit einhergehen können. Sowohl durch die Digitalisierung als auch den notwendigen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft werden neue Arbeitsplätze entstehen und alte verschwinden. Vor allem werden sich viele
Tätigkeiten und Berufe verändern. Das stellt viele Unternehmen und Beschäftigte von
der Automobilindustrie bis zum Pflegedienstleister vor große Herausforderungen. Die
Menschen brauchen andere Kompetenzen, neue Qualifikationen und mehr Möglichkeiten, um den Wandel aktiv mit zu gestalten, und die Unternehmen benötigen passend
qualifizierte Fachkräfte. Dabei stehen auch zukünftig die Unternehmen in der Hauptverantwortung für betriebliche Weiterbildung, Re-Qualifizierung und Personalentwicklung. Sie stemmen bereits heute gut die Hälfte der Ausgaben für die berufliche
Bildung und investieren Milliarden in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter. Diese Investition lohnt sich: Sie hilft gegen den Fachkräftemangel, ermöglicht Innovation und ist damit ein zentraler Faktor, um im Wettbewerb zu bestehen. Insbesondere für kleinere Unternehmen sollen die staatlichen Unterstützungsstrukturen ausgebaut werden, damit sie besser in der Lage sind, aktiv Qualifizierung
und Bildung zu organisieren und zu finanzieren.
Die demographische Entwicklung führt zu großen Herausforderungen, wenn in den
nächsten Jahren die sogenannten Babyboomer in Rente gehen. Auch dadurch wächst
der Bedarf an Fachkräften, vor allem in den sozialen Dienstleistungen. Das Erwerbspersonenpotential wird kleiner. Unter anderem durch eine höhere Erwerbsbeteiligung
von Frauen und bessere Arbeitsmarktbedingungen für Ältere kann dem entgegengewirkt werden. Im Durchschnitt werden die Menschen gesünder älter und viele wollen
länger erwerbstätig sein. Andere sind aber schon heute nicht in der Lage, bis zum regulären Renteneintrittsalter zu arbeiten, weil die Arbeitsbedingungen und die Anforderungen das nicht ermöglichen. Darauf muss die Arbeitsmarktpolitik der 20er-Jahre
eine Antwort geben. Erwerbsarbeit muss sich so verändern, dass die Menschen auch
wirklich länger arbeiten können. Dazu gehört auch, dass es selbstverständlich wird,
sich auch mit 40 oder 50 noch einmal weiterzubilden oder einen neuen Beruf zu erlernen.
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wir brauchen gesteuerte Zuwanderung, um
das sinkende Erwerbspersonenpotential auszugleichen. Gleichzeitig wird es auch Zuwanderung aus humanitären Gründen geben, nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise.
Auch die Menschen, die neu nach Deutschland kommen, brauchen oft zusätzliche Bildungsangebote, um ihre Potentiale entfalten zu können. Vorhandene formale und informale Qualifikationen müssen unbürokratisch und zügig anerkannt und ggf. angepasst werden.
Die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit durch die Arbeitslosenversicherung ist
unzureichend. Etliche Beschäftigte zahlen zwar Beiträge, aber bekommen im Falle der
Arbeitslosigkeit dennoch kein Arbeitslosengeld I ausbezahlt, sondern sind direkt auf
Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) angewiesen. Weniger als die Hälfte der Menschen,
die weniger als ein Jahr arbeitslos sind, beziehen Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Die Mehrheit der Kurzzeitarbeitslosen hat lediglich Anspruch auf ALG II. Dies
ist ungerecht und führt zu einer überdurchschnittlichen Belastung der Jobcenter. Ein
Ziel der Arbeitsversicherung soll es daher sein, dass Kurzzeitarbeitslose üblicherweise
von den Arbeitsagenturen betreut und die Jobcenter sich hauptsächlich auf die Langzeitarbeitslosen fokussieren können.
Perspektivisch sollen in der Arbeitsversicherung auch alle Erwerbstätigen unterstützt
werden können. Dazu können auch Menschen gehören, die zusätzlich zum Erwerbseinkommen Arbeitslosengeld II beziehen, sofern sie mehr als geringfügig beschäftigt
sind. Derzeit werden sie von den Jobcentern betreut. Außerdem sollen nicht nur abhängig Beschäftigte, sondern auch Selbstständige Leistungen der Arbeitsversicherung
in Anspruch nehmen können. Als erster Schritt muss der Zugang von Selbstständigen

zu der bestehenden freiwilligen Arbeitslosenversicherung verbessert werden. Seit
2010 haben sich deren Beiträge fast verfünffacht. Die Zahl der Selbstständigen in der
freiwilligen Arbeitslosenversicherung hat sich daraufhin halbiert. In der Folge sind sie
nicht mehr Teil der Versichertengemeinschaft, sondern im Falle der Arbeitslosigkeit
auf steuerfinanzierte SGB-II-Leistungen angewiesen.
Darüber hinaus müssen bei der Weiterentwicklung der Arbeitslosenversicherung weitere bestehende Gerechtigkeitsprobleme beseitigt werden. Erstens sollte sich die Höhe
des Arbeitslosengeldes immer an der Höhe der gezahlten Beiträge orientieren. Arbeitslose, die angeben, künftig weniger als bisher arbeiten zu wollen oder zu können, bekommen heute nur ein vermindertes Arbeitslosengeld auf Basis der Arbeitswochenstunden, die sie in Zukunft bereit oder in der Lage sind zu arbeiten. Zweitens darf es
für die Laufzeit des Arbeitslosengeldbezugs keinen Unterschied mehr machen, ob jemand eine von mehreren Beschäftigungen oder die einzige Arbeitsstelle verliert. Drittens gibt es heute Arbeitslose, die gleichzeitig Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld
II beziehen müssen, weil sonst das Existenzminimum nicht gedeckt ist. Sie müssen
also sowohl bei der Arbeitsagentur als auch dem Jobcenter Leistungen beantragen. Um
das zu verhindern, ist generell anzustreben, dass Menschen für Sozialleistungen, die
der Sicherung des Lebensunterhalts dienen, nicht mehr zu unterschiedlichen Behörden
gehen müssen.
Die skizzierten Probleme machen deutlich, dass eine neue Arbeitsmarktpolitik notwendig ist. Die Einführung einer umfassenden Arbeitsversicherung ist dringend geboten. Sie muss alle Menschen dort unterstützen, wo immer sie es in einer komplexer
werdenden Arbeitswelt brauchen.

Zum gesamten Antrag mit allen Forderungen geht es hier: Arbeitslosenversicherung zur Arbeitsversicherung weiterentwickeln

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