Coronageld und Co.

Wie Selbständigen, Künstler*innen und anderen schnell und unbürokratisch geholfen werden kann

Vorbemerkung

Das Kurzarbeitergeld ist eine sehr gute und zielgenaue Leistung für abhängig Beschäftigte (mit ausreichend Einkommen). Deswegen haben wir die aktuellen Erleichterungen im Zuge der Coronakrise auch unterstützt. In meiner Rede dazu im Bundestag habe ich gesagt, dass ich davon ausgehe, dass das Kurzarbeitergeld diesmal noch eine deutlich größere Bedeutung haben wird als in der Finanzmarktkrise. Das liegt daran, dass die Wirtschaft fast flächendeckend herunterfährt, um – hoffentlich – in absehbarer Zeit wieder raufzufahren. Es braucht also eine Brücke über diese Schlucht. Dafür ist das Kurzarbeitergeld besonders gut geeignet.

Ich habe in meiner Rede aber auch gesagt, dass wir auch diejenigen im Blick behalten müssen, die vom Kurzarbeitergeld nicht oder nur unzureichend profitieren, weil sie geringe Einkommen haben.

Um diese Gruppen geht es bei den folgenden Vorschlägen: Selbständige (ohne oder mit wenigen Beschäftigten), Freiberufler, Künstlerinnen und Künstler, aber auch: abhängig Beschäftigte mit geringen Einkommen, Minijobber*innen und Eltern, die wegen fehlender Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit und damit ihr Einkommen reduzieren müssen.

Die Frage ist, wie kann diesen Gruppen so schnell und unbürokratisch wie möglich geholfen werden. Letzteres ist wichtig, um die Behörden, insbesondere Jobcenter und Arbeitsagentur zu entlasten, die mit der Vergabe von Kurzarbeit derzeit mehr als genug beschäftigt sind. Außerdem wird das Virus auch die Arbeitsfähigkeit der Behörden früher oder später einschränken.

Vorschlag von Anke Hassel und Christian Odendahl

Anke Hassel (Professorin für Public Policy an der Hertie School und von 2016 bis 2019 Wissenschaftliche Direktorin des WSI) und Christian Odendahl (Chefökonom des Centre for European Reform) haben in einem Gastbeitrag in der Zeit und kurz danach in einem weiteren Gastbeitrag im Tagesspiegel einen Vorschlag gemacht, den sie „Coronageld“ nennen.

Sie schlagen vor, dass alle Bundesbürger*innen eine Zahlung von 500 Euro erhalten, die im Nachhinein mit der Einkommensteuer verrechnet werden könnte.

Ähnlich wie oben beschrieben, argumentieren auch sie, dass beim Kurzarbeitergeld einige Gruppen durch das Raster rutschen, vor allem Selbständige und Freiberufler. Sie sprechen aber auch Minijobberinnen an und Eltern, die wegen fehlender Kinderbetreuung Sonderurlaub nehmen müssen. Sowohl für Selbständige als auch Eltern machen sie weitere zielgruppen-orientierte Vorschläge, u.a. eine Öffnung der Arbeitslosenversicherung für Selbständige wie wir sie auch fordern. Sie schreiben aber: Die „Maßnahmen haben aber einen Vorlauf, selbst wenn die Bundesregierung sie schnell umsetzen würde. Kapazitäten müssten in den Behörden geschaffen werden, um Verdienstausfälle zu berechnen und Ansprüche zu prüfen. Auch bei einer Lohnersatzleistung für Soloselbständige müsste erst ein Durchführungsverfahren geschaffen werden.“ Deswegen sei, zumindest um das zu überbrücken, ein Coronageld sinnvoll. „Um Mitnahmeeffekte zu reduzieren, könnte man den Betrag später bei der Einkommenssteuer der Steuerlast wieder zuschlagen.“

Stefan Bach (DIW) hat den Vorschlag auf Twitter folgendermaßen kommentiert:

„Ja, gute Idee! Mit #Elster sollte sich das doch schnell hinfrickeln lassen? Da sind alle Selbständigen registriert und inzwischen wohl auch die meisten Einkommensteuerzahler. Kontoverbindung liegt vor“ (Link)

500 Euro, um das Nötigste abzufedern (zeit.de)

Eine Nothilfe von 500 Euro für Betroffene könnte von der Hausbank ausgezahlt werden (tagesspiegel.de)

Petition „Mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen durch die Krise“

Fast gleichzeitig wurde eine Petition auf Change.org ins Leben gerufen:

Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen durch die Coronakrise (change.org)

Gefordert wird ein auf 6 Monate befristetes bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 800 bis 1200 Euro. Die Petentin ist selbstständige Modedesignerin,hat 5 Angestellte und beschreibt in der Petition ihre persönliche Situation wie folgt:

„Mir ist es in all den Jahren gelungen, sichere Arbeitsplätze zu schaffen und meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Was mir trotz überdurchschnittlich viel Arbeit nicht gelang, ist Rücklagen zu bilden, die mich und mein Team durch eine Krise, wie wir sie derzeit erleben, retten könnten.

So geht es nicht nur mir. So geht es unzähligen Selbstständigen, Kreativen, Musikern, Künstlern, Veranstaltern und Überlebenskünstlern. Menschen, die ihr Leben immer selbst gestaltet haben, die Deutschland gestalten und unsere Welt bunter machen. Menschen, die den Mut haben, Unternehmer zu sein. Menschen, die sich und andere immer selbst versorgt haben und nun unmittelbar vor dem Aus stehen. So geht es unzähligen Studenten und anderen, die auf ihre 450€-Jobs angewiesen sind, um zu überleben. Für die kein Kurzarbeitergeld greift und für die Kredite keine Zukunftsperspektive sein können. Sie alle wissen nicht, wie sie ihre Mieten, ihre privaten Krankenversicherungen, Essen für ihre Kinder oder andere Verbindlichkeiten zahlen sollen.

Sie alle brauchen Hilfe und zwar: SOFORT!
Nicht als Kredit, sondern als Zuschuss für die Umsätze und Einkommen, die innerhalb von Tagen plötzlich weggebrochen sind.“

Die Argumentation ist also sehr ähnlich wie jene von Anke Hassel und Christian Odendahl. Ganz offenbar wird die Analyse und die Forderung von vielen geteilt. Binnen weniger Tage gab es mehrere Hunderttausend Unterstützungen für die Petition. (Stand 21.03.20: ca. 343:000)

Deutscher Musikrat

Auch der Deutsche Musikrat fordert ein befristetes Grundeinkommen.

Coronakrise: Deutscher Musikrat fordert befristetes Grundeinkommen (musikrat.de)

Hierzu Prof. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates: „Der DMR fordert ein auf sechs Monate befristetes Grundeinkommen in Höhe von € 1.000 für alle freiberuflich Kreativschaffenden. Die Einkommen der freiberuflichen Musikerinnen und Musiker, sei es im Veranstaltungsbereich wie in den musikpädagogischen Berufsfeldern, brechen mit dem bundesweiten Shutdown sofort weg, während die Kosten weiterlaufen. Bei einem laut Künstlersozialkasse durchschnittlichen Bruttojahreseinkommen freiberuflicher Musikerinnen und Musiker von € 13.000 ist kein Spielraum für Rücklagen gegeben. Entscheidend ist, dass jetzt rasch und ohne bürokratischen Aufwand geholfen werden kann.“

Im Gegensatz zum Coronageld und der Petition geht es hier aber also nur um ein Grundeinkommen für alle freiberuflichen Kreativschaffenden.

Marcel Fratzscher (DIW)

Marcel Fratzscher plädiert in einem Interview in den Tagesthemen für Transfers statt Kredite an Selbständige. Dafür gäbe es mehrere Optionen. Dies könne zum Beispiel als negative Einkommensteuer erfolgen oder als eine einmalige Direktzahlung durch die Finanzämter in Höhe von etwa 10.000 Euro. Auch er verweist auf Elster und dass das aus seiner Sicht problemlos möglich sein müsste. Direkt auf den Vorschlag des Musikrats angesprochen, antwortete er, auch das sei machbar. 1000 Euro würden aber häufig nicht reichen.

In einem weiteren Interview mit dem Deutschlandfunk sagte er: „Die kleinen Unternehmen brauchen wirklich Geld in der Tasche. Man muss über Transfers nachdenken, dass man sagt, alle, die beim Finanzamt gemeldet sind, kriegen 5.000 oder 10.000 Euro in die Tasche, sofort, um diese Zeit lang überleben zu können. Gerade für Solo-Selbständige oder für Selbständige mit sehr kleinen Unternehmen – wir haben weit über vier Millionen, fast fünf Millionen Selbständige in Deutschland, viele davon solo-selbständig.“

Bettina Seidl, HR, zum erneuten Übernahmeversuch der Deutsche Wohnen durch Vonovia (tagesschau.de)

DIW-Chef Marcel Fratzscher plädiert für Helikoptergeld (institutional-money.com)

Blick ins Ausland

In Hongkong und Singapur gibt es bereits ähnliche Leistungen.

In Hong Kong erhalten alle Personen ab 18 Jahren eine einmalige Bargeldausschüttung in Höhe von 10.000 Hongkong Dollar (das sind stand heute 1200€, die Währungen schwanken recht stark). Insgesamt kostet das 120 Mrd. HK$ (bzw. 15 Mrd. USD, oder 14 Mrd.€). Darüber hinaus werden viele weitere Maßnahmen ergriffen (u.a. staatliche Kreditgarantien für die Wirtschaft um Löhne und Steuern zahlen zu können, geringe Steuern und Gebühren für Individuen, geringere Mieten im öffentlichen Bereich, usw.)

Hong Kong budget to hit record deficit of HK$139 billion with relief measures of HK$10,000 per individual and full loan backing for small firms (scmp.com)

In Singapur gibt es eine gestaffelte einmalige Bargeldausschüttung an Personen ab 21 Jahren: Bis 28.000 Singapur-Dollar (18.000 €) Einkommen in 2019 gibt es 300 S-Dollar (193 €), bis 100.000 S-Dollar werden 200 S-Dollar (129 €) ausgezahlt und danach 100 S-Dollar (64 €). Menschen die mehr als eine Immobilie besitzen bekommen ebenfalls 100 S-Dollar unabhängig vom Einkommen. Zusätzlich bekommen Eltern 100 S-Dollar je Elternteil, wenn sie mindestens ein Kind haben, die Zahl der Kinder ist nicht ausschlaggebend.

Eine solche einkommensabhängige Auszahlung verursacht allerdings wieder Bürokratie. Besser, weil unbürokratischer und schneller, ist eine einkommensunabhängige Auszahlung mit einer Einkommensprüfung im Nachhinein im Rahmen der Steuererklärung.

Singapore Budget 2020: Singaporeans aged 21 and above to get one-off cash payout of up to $300 (straitstimes.com)

Schlussfolgerungen und Optionen

Ich halte ein Coronageld – oder wie man es am Ende nennen möchte – für absolut sinnvoll und die einfachste und unbürokratische Möglichkeit, um den Betroffenen schnell zu helfen.

Für die Umsetzung gibt es mehrere Möglichkeiten, die noch geklärt werden müssen. Ich würde dabei für eine gewisse Offenheit plädieren.

1) Höhe

Hassel und Odenthal schlagen 500 Euro vor, in der Petition heißt es 800 bis 1200 für sechs Monate, der Deutsche Musikrat fordert 1000 Euro für sechs Monate, jeweils monatlich, und Marcel Fratzscher schlägt eine Einmalzahlung von 5000 bis 10000 Euro vor.

Schon 500 Euro im Monat würden meines Erachtens vielen der Betroffenen helfen. Wenn gar kein Einkommen mehr da wäre, reicht es natürlich nicht. Aber wenn das Einkommen bei Selbständigen, Künstler*innen, Eltern oder Kurzarbeitenden nicht ganz weggebrochen ist, wäre das eine stabile Basis, um besser durch die Krise zu kommen.

800 bis 1200 Euro wären natürlich besser, weil dann das Existenzminimum gesichert ist. 800 Euro ist etwas höher als das sächliche Existenzminimum. Ich habe in einem Interview mit dem hessischen Rundfunk gesagt, dass ich für ein zeitlich befristetes Coronageld von 500 bis 800 Euro monatlich bin.

Marcel Fratzscher schlägt eine Einmalzahlung vor. Auch das wäre eine Möglichkeit, ich würde aber eher für eine monatliche Zahlung plädieren. Erstens, weil wir noch nicht wissen, wie lang die Brücke sein muss, die wir bauen müssen. Bei einer monatlichen Zahlung könnte eine Befristung dann gegebenenfalls nochmal einfacher verlängert werden. Außerdem sehe ich das Problem, dass eine Einmalzahlung einen ökonomischen Schub auslösen würde, den wir im Moment ja eher nicht brauchen. Ein solches so genanntes „Helikoptergeld“ wäre also, wenn, dann eher am Ende der „Ruhephase“ sinnvoll, um die Ökonomie wieder anzukurbeln.

2) Für Alle oder nur für einzelne Zielgruppen

Die zweite Frage ist, ob das Coronageld an alle ausgezahlt werden sollte oder nur an bestimmte Zielgruppen, z.B. Selbständige und Künstler*innen. Eine Beschränkung auf bestimmte Zielgruppen ist vermutlich realpolitisch besser durchzusetzen und lässt sich möglicherweise auch besser erklären. Hat aber den Nachteil, dass dann wieder eine Abgrenzung zu anderen erfolgen müsste, die erstens überprüft werden müsste und die zweitens dazu führt, dass andere, z.B. Minijobber*innen und Eltern raus fallen. Außerdem haben Selbständige und Künstler*innen ja vielleicht auch Familienangehörige, weswegen eine Zahlung pro Kopf einfacher wäre.

Umgekehrt könnte eine Pro-Kopf-Zahlungan alle bei manchen Menschen, die keine Probleme haben, zu der Frage führen: warum kriege ich so ein Coronageld? Die Antwort wäre zwar einfach, weil nur so eine schnelle und damit unbürokratische Auszahlung möglich ist und diese außerdem mit der Einkommensteuer verrechnet würde, könnte aber trotzdem für Irritationen sorgen. Denkbar wäre zu sagen, dass ein Coronageld von allen unbürokratisch beim Finanzamt beantragt werden kann. Notwendig wäre nur die Angabe der Steuer-ID, ggf. der Kontonummer, die die Finanzämter aber in der Regel schon kennen, und die Verpflichtung eine Steuererklärung zu machen.

Fazit: Die beste Lösung wäre ein Coronageld für alle, gegebenenfalls auf Antrag, das Mindeste wäre ein Coronageld für Selbständige und Künstler*innen

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