Blog | Echte Probleme und falsche Lösungen – zur aktuellen Migrationsdebatte
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Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: „Für jedes komplexe Problem gibt es eine einfache Antwort – und die ist falsch!“. Das Zitat passt leider sehr passend zu der aktuellen Debatte über Migration. Mich macht die Debatte nach dem Anschlag Solingen ehrlich gesagt schier wahnsinnig. Als Wissenschaftler bin ich es gewohnt zu fragen: Was ist das Problem? Und dann: Was ist die Lösung für das Problem? In der aktuellen Diskussion werden aber gleich mehrere Probleme in einen Topf geworfen und dann eine einfache Lösung präsentiert. Normalerweise ist das ein typisches Mittel der Populist*innen von der AFD. Mittlerweile sind aber auch die CDU und CSU, teilweise auch noch andere so unterwegs. Das macht mich wütend und ärgert mich, denn wir haben echte Probleme, die so aber nicht ansatzweise gelöst werden. Vielmehr schürt die Forderung nach einer stärkeren Abschottung Ausländerfeindlichkeit und Rassismus und hat darüber hinaus auch ökonomische negative Nebenwirkungen, denn wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Zuwanderung.
Was also sind die Probleme?
Wir haben in Deutschland erstens das Problem, dass sich viele Menschen durch Kriminalität und Gewalttaten bedroht fühlen, also ein Problem der inneren Sicherheit. Es geht dabei um viel mehr als den Schutz vor Terrorismus, und die Bedrohung von Gewalt geht bei weitem nicht nur von Geflüchteten aus. Dieses Problem muss mit Mitteln der Innenpolitik, wie zum Beispiel eine Verschärfung des Waffenrechts, eine bessere Ausstattung der Polizei etc. gelöst werden. Es sind bemerkenswerterweise vor allem Bündnis 90/Die Grünen, die Maßnahmen für innere Sicherung fordern und Vorschläge vorgelegt haben. Bemerkenswert ist das deswegen, weil üblicherweise nicht wir, sondern eher CDU und CSU als die Parteien gelten, die für innere Sicherheit stehen. In der aktuellen Debatte gibt es aber von diesen beiden Parteien auf Bundesebene keine Vorschläge, in NRW haben allerdings CDU und Grüne gemeinsam ein Sicherheitspaket beschlossen. In der Bundesregierung und der Ampelkoalition ist es eher die FDP, die an dieser Stelle bremst. Trotzdem sind relevante Teile unserer Vorschläge in das Sicherheitspaket der Bundesregierung eingeflossen.
Das zweite Problem ist die Bedrohung durch den Islamismus. Diese Bedrohung ist leider nicht neu und Maßnahmen dagegen werden ehrlicherweise nicht schnell helfen. Die Bedrohung kommt auch nicht nur von außen. Ein großer Teil der in Deutschland lebenden Islamisten und Islamistinnen hat sich in Deutschland radikalisiert und es geht dabei nicht nur um Geflüchtete. Vielmehr radikalisieren sich auch Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland gekommen sind. Häufig ist diese zweite oder dritte Generation anfälliger als die erste Generation. Es sind aber auch Deutsche ohne ausländische Vorfahren dabei. Interessanterweise sind die Prozesse, die zu einer Radikalisierung führen, ganz ähnliche wie bei jungen Menschen, die zu Nazis werden. Bei den Deutschen mit ausländischen Eltern oder Großeltern stellt sich die Frage, wie das eigentlich sein kann, dass sich Menschen, die hier aufgewachsen und häufig Deutsche sind, radikalisieren lassen. Eine Ursache dafür sind fehlende Integration einerseits und rassistische Bedrohungen und Ressentiments andererseits, was dazu führt, dass sich Menschen hier nicht heimisch fühlen. Mittel Wir müssen also mehr dafür tun, dass Menschen, die zu uns kommen, und schon gar Menschen, die hier aufwachsen, Teil unserer Gesellschaft werden. Die ausländerfeindlichen und rassistischen Ressentiments, die durch die derzeitige Debatte geschürt werden, bewirken das genaue Gegenteil.
Das dritte Thema ist das Thema Migration. Hier ist es wichtig, klar zu machen, was eigentlich das Problem ist. Wir brauchen aufgrund der demographischen Entwicklung, aber auch, weil in manchen Bereichen zu wenig Einheimische arbeiten wollen oder qualifiziert sind, Zuwanderung. Der Arbeitskräftemangel ist schon heute unübersehbar. Große Teile der Wirtschaft würden ohne Zugewanderte nicht mehr funktionieren. Der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung kam nur durch die Zuwanderung zustande, während die Beschäftigung der Einheimischen zuletzt gesunken ist. Um Arbeitskräfte aus dem Ausland zu bekommen, braucht es eine echte Willkommenskultur, auch weil wir in Konkurrenz zu vielen anderen Ländern stehen. Dazu gehört, dass nicht nur die Arbeitskräfte selbst, sondern auch ihre Familien willkommen sind. Dafür braucht es entsprechende Infrastruktur, Kinderbetreuung, Schulen, Wohnungen etc., aber auch genügend Maßnahmen für eine gute Integration. Hier beginnen die Probleme, denn wir sind noch nicht ausreichend darauf vorbereitet und wenn, wie in den letzten Jahren, nicht zuletzt wegen des Krieges in der Ukraine sehr viele Menschen auf einmal kommen, sind viele, wenn auch nicht alle, Kommunen überfordert oder an der Belastungsgrenze. Schlussfolgerung daraus ist eine bessere finanzielle Ausstattung und Unterstützung der Kommunen, um sowohl kurzfristig als auch mittelfristig besser klar zu kommen. Außerdem müssen wir mehr für Integration tun, denn je schneller die Menschen Teil unserer Gesellschaft sind, um so geringer sind die Kosten. Dazu gehört auch, dass Zugewanderte möglichst von Anfang an arbeiten und finanziell auf eigenen Beinen stehen können. Meines Erachtens funktioniert es übrigens nicht, bei der Willkommenskultur zwischen den unterschiedlichen Gruppen zu unterscheiden. Abschreckungsmaßnahmen gegen Geflüchtete schrecken auch die Menschen ab, die wir für den Arbeitsmarkt brauchen. Notwendig ist eine Willkommenskultur für alle und eine Qualifizierung der Geflüchteten, um sie im gemeinsamen Interesse fit für unseren Arbeitsmarkt zu machen.
Es ist also ein ganzes Bündel von Maßnahmen erforderlich und es muss an vielen Stellen angesetzt werden, um die bestehenden Probleme der inneren Sicherheit, des Islamismus sowie die Probleme, die durch Migration entstehen, zu lösen. Eine zunehmende Abschottung, mit dem Ziel die Migrationszahlen zu senken, war nicht dabei. Die Zahlen zu senken ist nach meinem Dafürhalten angesichts von Kriegen, zunehmender Klimakrise und globaler Armut, auch gar nicht realistisch. Wenn überhaupt, müsste an den genannten Fluchtursachen angesetzt werden. Darüber ist aber wenig die Rede, obwohl das dringend notwendig wäre. Die Menschen werden also weiterhin fliehen. Es ist übrigens nur ein Teil, die nach Europa kommen. Wenn diese gleichmäßig auf die Länder verteilt würden, wären die beschriebenen Probleme deutlich geringer. Deswegen sind europäische Lösungen so wichtig. Die Vorschläge von Friedrich Merz, Markus Söder etc. sind auch dafür völlig kontraproduktiv.
Es wäre meines Erachtens gut gewesen, nach dem schrecklichen Attentat in Solingen und anderen Vorfällen einmal inne zu halten, und dann auf der Basis einer gründlicheren, differenzierten Analyse zielgenaue Lösungen zu finden.