Erklärung zur Abstimmung zum 100 Mrd. € Sondervermögen

Erklärung nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 87a)

Der von Putin angezettelte brutale Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Welt verändert. Das betrifft aktuell vor allem die Ukraine. Deswegen ist es richtig, die Ukraine zu unterstützen. Dazu zählen auch Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung der Ukraine gegen die russische Armee. Zugleich gibt es auch jetzt schon direkte Auswirkungen bei uns in Deutschland, z.B. durch die dadurch angetriebene fossile Inflation und die Aufnahme von willkommenen ukrainischen Geflüchteten, und weltweit durch eine Verknappung und Verteuerung von Lebensmitteln, die gerade die ärmsten Länder besonders treffen. Das alles trifft auf eine Phase, in der aufgrund des Klimawandels ohnehin eine bessere soziale Absicherung und Maßnahmen zur Schaffung von mehr globaler Gerechtigkeit notwendig sind.

Das Verhalten des russischen Präsidenten hat darüber hinaus gehende Auswirkungen auf die bestehende Sicherheitsarchitektur in Europa, weil durch diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg deutlich wird, dass auch ein Angriff auf weitere Länder denkbar und sogar auf das Territorium der NATO nicht mehr vollständig ausgeschlossen ist. Dadurch entstehen Herausforderungen für eine bessere Verteidigungsfähigkeit der NATO, um Putin mittelfristig von weiteren Schritten abzuhalten. Das wird auch zusätzliche militärische Investitionen notwendig machen. Die Überlegung, diese zusätzlichen Ausgaben durch Schulden zu finanzieren, damit die Ausgaben nicht zu Lasten von ebenfalls notwendigen anderen Maßnahmen, z.B. im Bereich der Sozialpolitik und der Entwicklungszusammenarbeit gehen, macht Sinn. Insofern ist der Grundgedanke eines Sondervermögens durchaus sinnvoll.

Aber: 100 Mrd. Euro? Nur für die Bundeswehr? 100 Milliarden Euro sind sehr, sehr viel Geld. Deswegen ist es wichtig, dass diese effizient und zielgenau eingesetzt werden. Hier habe ich Zweifel. Schon jetzt ist der Verteidigungsetat in Deutschland einer der höchsten der Welt. Trotzdem gibt es offensichtliche Mängel bei der Bundeswehr. Um die Effizienz zu steigern, ist deswegen eine Reform des Beschaffungswesens unbedingt erforderlich. Dazu gehört auch, dass es eine Europäisierung der Beschaffung von Rüstungsgütern geben sollte. Deswegen ist zwar gut, dass eine Reform des Beschaffungswesens vereinbart wurde, aber eigentlich hätte diese vor der Festlegung einer Summe für das Sondervermögens stattfinden müssen. Darüber hinaus wäre es sinnvoll gewesen erst festzustellen, welche Maßnahmen als Konsequenz aus dem Verhalten von Putin für die Verteidigungsfähigkeit notwendig sind, dann zu überlegen, wie diese effizient finanziert werden können und erst am Schluss einen Betrag festzulegen. Erst den Betrag festzulegen ist problematisch. Das gilt sowohl für das 2%-Ziel der NATO wie die Vor-Festlegung auf 100 Mrd. Euro für das Sondervermögen.

Es ist gut, dass das 2%-Ziel der NATO nicht im Grundgesetz festgeschrieben wird, und es ist auch gut, dass verhindert werden konnte, dass nicht zusätzlich zu dem Sondervermögen bereits die Verteidigungsausgaben innerhalb des Bundeshaushalts auf 2% des BIP erhöht werden. Allerdings sollen durch das Sondervermögen für fünf Jahre die Ausgaben für Verteidigung auf im Durchschnitt 2% des Bruttoinlandprodukts angehoben werden. Das ist problematisch, weil das für diesen relativ kurzen Zeitraum bedeutet, dass im Durchschnitt die Militärausgaben jährlich um 20 Mrd. erhöht werden. Das ist ein so hoher Betrag, dass die Gefahr besteht, dass das Geld nicht effizient und effektiv eingesetzt werden kann, auch weil die geplanten Reformen der Beschaffung möglicherweise nicht so schnell wirken. Gut ist allerdings, dass für danach nicht mehr das 2%-Ziel festgeschrieben wird, sondern nur noch Ausgaben, „um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden NATO-Fähigkeitszielen zu gewährleisten“. Es ist zu hoffen, dass es gelingt, dass das dann nicht mehr das simple 2%-Ziel ist, sondern qualitative Ziele sind und bis dahin möglichst effiziente Wege gefunden werden, diese zu erreichen.

Neben diesen grundsätzlichen Problemen habe ich auch Probleme mit den konkreten Beschaffungsvorhaben. Insbesondere halte ich es für problematisch, dass im Rahmen des Sondervermögens für viel Geld amerikanische F35-Bomber gekauft werden, unter anderem mit der Begründung, dass sie auch Atombomben tragen können. Das widerspricht nach meinem Dafürhalten dem Ziel einer atomaren Abrüstung. Insgesamt besteht durch die starke Anhebung der Militärausgaben in den nächsten Jahren sogar die Gefahr, dass eine konventionelle oder sogar nukleare Aufrüstungsspirale in Gang kommt. Das gilt es zu verhindern.

Als Schlussfolgerung aus dem Angriffskrieg Putins ist mehr notwendig als mehr Geld für die Bundeswehr. Zu mehr Sicherheit gehören auch Maßnahmen zur zivilen Krisenprävention, zum Zivilschutz, zur Cyber-Sicherheit und auch mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Es wäre sinnvoll gewesen, auch Ausgaben dafür im Sinne eines erweiterten Sicherheitsbegriffs in dem Sondervermögen zu verankern. Das ist nicht gelungen. Stattdessen müssen diese zusätzlich notwendigen Maßnahmen jetzt doch über den Bundeshalt finanziert werden. Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach Meinung des Bundesfinanzministers im nächsten Jahr wieder die Schuldenbremse gelten soll und Steuererhöhungen ebenfalls von ihm abgelehnt werden, besteht die große Gefahr, dass das zu Lasten wichtiger Maßnahmen für soziale Gerechtigkeit geht, die vor dem Hintergrund sowohl der vielfältigen Veränderungen von der Digitalisierung, über die demographischen Veränderungen bis hin zu dem notwendigen sozial-ökologischen Wandels als auch der Folgen aus dem Ukraine-Krieg notwendig sind.

So könnte das Sondervermögen zu Lasten der sozialen Sicherheit sowie der Armutsbekämpfung in Deutschland und in der Welt gehen, falls es nicht gelingt, die finanziellen Spielräume für den Bundeshalt zu erweitern.

Aufgrund der beschriebenen Probleme und Risiken kann ich dem Sondervermögen in der vorgelegten Form nicht zustimmen und lehne die Grundgesetzänderung ab.

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