Gastbeitrag | Mehr Zeit für Kinder ermöglichen

Die „Stimme der Familie“ ist eine familien- politische Fachzeitschrift mit Beiträgen aus Politik, Praxis und Wissenschaft. Sie erscheint sechsmal im Jahr und wendet sich an alle, die sich für Familienpolitik und die Arbeit des Familienbundes der Katholiken interessieren. Für das Heft 2/2020 schrieb Dr. Strengmann-Kuhn den Beitrag „Mehr Zeit für Kinder ermöglichen“.

Wenn über Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesprochen wird, geht es oft vorrangig um das Ziel, die Erwerbsbeteiligung von Müttern zu erhöhen. In dieser Debatte finden sowohl die Kinder als auch die Väter kaum bis keine Beachtung. Und selbst wenn der Fokus auf den Müttern liegt, so geht es vor allem um die Bedürfnisse der Unternehmen. Die Interessen der Wirtschaft stehen also über den Interessen der Menschen. Das ist der falsche Ansatz: Die Wirtschaft muss den Menschen dienen – nicht umgekehrt.

Interessen von Kindern, Müttern und Vätern

Allen voran sollte es um die Interessen der Kinder gehen. Für die Kinder ist, erstens, das Wichtigste, dass die Eltern mehr Zeit für sie haben, und zwar beide Eltern, sofern vorhanden. „Mehr Zeit für Kinder“ ist ein häufig zu hörender Slogan von Politikerinnen und Politikern. Das politische Handeln der Verantwortlichen sieht häufig aber anders aus. Zweitens brauchen Kinder neben mehr Zeit mit den Eltern aber auch Zeit mit anderen Kindern. Drittens ist im Interesse der Kinder Chancengleichheit ein zentrales Ziel.

Auch für die Eltern[1] ist Zeit für und mit ihren Kindern von großer Bedeutung. Aber auf der anderen Seite ist auch der Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig. Darum sollte es eigentlich bei dem Slogan „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ gehen: um das Gleichgewicht zwischen Zeit für die Kinder und Zeit für Erwerbstätigkeit sowie, nicht zu vergessen, auch Zeit für sich selbst und Zeit für andere, also die Partnerin oder den Partner, Bekannte, Freundinnen und Freunde sowie gesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement. Diese Work-Life-Balance ist häufig im Ungleichgewicht, und zwar für Mütter und Väter in der Regel in unterschiedlicher Art und Weise.

Mütter wünschen sich im Durchschnitt mehr Stunden pro Woche erwerbstätig zu sein. Gleichzeitig tragen sie den Hauptanteil von unbezahlter Sorgearbeit. Vor allem in Westdeutschland sind Mütter zu einem relevanten Teil nur geringfügig oder gar nicht beschäftigt. Für die betroffenen Frauen hat das gravierende ökonomische Konsequenzen: der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt ist schwierig, Frauen haben generell ein geringeres Einkommen als Männer und nach einer kinderbedingten Erwerbsunterbrechung ist üblicherweise auch das zukünftige Einkommen geringer. Das alles zusammen führt zusätzlich dazu, dass Renten gering ausfallen und damit Altersarmut steigt. Schon bei sozialversicherungspflichtiger Teilzeit, die sich Mütter häufig wünschen, sind diese ökonomischen Folgewirkungen weitaus geringer.

Väter wünschen sich hingegen im Durchschnitt weniger Stunden pro Woche erwerbstätig zu sein. Auch bei Männern mit Kindern ist nach wie vor die Vollzeiterwerbstätigkeit Standard. Für Väter, die zugunsten von Kinderbetreuung ihre Arbeitszeit flexibler gestalten wollen oder müssen, ist die Akzeptanz sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Kolleginnen und Kollegen, häufig immer noch nicht so groß wie sie sein sollte.

Politische Ziele

Die Politik sollte die Rahmenbedingungen so gestalten, dass Eltern selbstbestimmt entscheiden können: In welchem Umfang wollen/müssen sie erwerbstätig sein? Wie teilen sie sich untereinander Erwerbs- und Familienarbeitszeit sowie Zeit für sonstige Aktivitäten untereinander fair auf? Eine zentrale Basis für eine selbstbestimmte Entscheidung ohne ökonomische Zwänge ist, dass das Existenzminimum in jedem Fall sichergestellt wird.

Für die Kinder sollte deswegen das Existenzminimum durch eine Kindergrundsicherung abgedeckt und garantiert sein. Für die Eltern ist vor allem wichtig, dass eine häufig sowohl von Müttern als auch Vätern gewünschte sozialversicherungspflichtige Teilzeiterwerbstätigkeit das eigene Existenzminimum abdeckt. Bei Alleinerziehenden ist das besonders wichtig. Alleinerziehende sind nämlich mehrheitlich erwerbstätig, aber meist nicht in Vollzeit, was im Sinne des Ziels „Mehr Zeit für Kinder“ durchaus wünschenswert ist. Allerdings reicht bei Teilzeit häufig das Einkommen nicht aus.

Allen Eltern, ob allein oder gemeinsam erziehend, sollte grundsätzlich Teilzeiterwerbstätigkeit ermöglicht werden, sofern sie dies wünschen. Dies ist im Interesse der Kinder, weil sie mehr Zeit mit beiden Elternteilen bekommen. Und es ist im Interesse der Eltern, weil es stärker den Wünschen nach Work-Life-Balance entspricht. Um diesem Ziel näher zu kommen, müssen Anreize für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wie das Ehegattensplitting oder die Subventionierung der Minijobs abgebaut werden. Eine stärkere Angleichung der Erwerbsarbeitszeiten von Vätern und Müttern hat auch eine relevante Auswirkung auf eine Verringerung des Gender Pay Gaps. Das liegt daran, dass zurzeit Arbeitgeber davon ausgehen, dass Frauen eher wegen Kindererziehung die Arbeitszeit reduzieren als Männer. Dies ist einer der Gründe, warum Frauen trotz gleicher Qualifikation schlechter bezahlt werden. Wenn die Wahrscheinlichkeit einer Erwerbsunterbrechung bzw. Erwerbsarbeitsreduzierung vom Geschlecht unabhängiger wird, verringert das auch die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern. In Deutschland ist der Stundenlohn von Frauen immer noch ungefähr 20% niedriger als der von Männern. Der Unterschied bei den Monatslöhnen ist noch größer, weil die Erwerbsarbeitszeit von Frauen im Durchschnitt geringer ist.

Außerdem braucht es eine Kinderbetreuung, die sowohl den Interessen der Eltern als auch denen der Kinder dient. Für die Kinder ist dabei wichtig, dass sie sowohl Zeit mit anderen Kindern verbringen können als auch mit den Eltern. Die Qualität der Kinderbetreuung muss nicht nur den aktuellen Bedürfnissen der Kinder entsprechen, sondern auch das Ziel der Chancengleichheit verfolgen. Bedeutsam ist hierbei, dass es möglichst viele Freiräume gibt, bei denen Kinder selbstbestimmt über ihre Zeit entscheiden können. Für die Eltern wiederum ist elementar, dass die Kinderbetreuung einerseits eine mehr als geringfügige Beschäftigung ermöglicht. Andererseits geht es aber nicht nur um die Ermöglichung von Erwerbsarbeit. Die Kinderbetreuung sollte deshalb so gestaltet sein, dass sie ein Gleichgewicht gewährleistet, das aus Zeit mit den Kindern, Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Zeit für sich und Zeit für andere, für gesellschaftliches Engagement, Hobbies, für Freundinnen und Freunde sowie für die Partnerin bzw. den Partner besteht. Das Leben ist eben mehr als nur Erwerbsarbeit und Familie. 

Für die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen sind also folgende Ziele in den Blick zu nehmen. Erstens geht es darum, dass die Menschen möglichst selbstbestimmt entscheiden können. Das gilt für beide Elternteile und die Kinder. Zweitens sollte in allen Lebenslagen das Existenzminimum garantiert werden. Das ist auch die Mindestvoraussetzung, die für eine selbstbestimmte Entscheidung aller Familienmitglieder über Umfang und Aufteilung der Erwerbstätigkeit nötig ist. Drittens ist Geschlechtergerechtigkeit ein wichtiges Ziel. Das betrifft sowohl das Einkommen als auch die Verteilung von Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Zeit für sich selbst und Zeit für andere. Viertens müssen Betreuungsangebote für Kinder so ausgestaltet werden, dass sie die Chancengleichheit verbessern.

Es ist klar, dass es nicht möglich ist, diese Ziele für alle immer vollumfänglich zu erreichen. Manche Ziele können im Widerspruch zueinander stehen oder die Interessen der Einzelnen sind schwer miteinander vereinbar. Diese Abwägung muss letztlich innerhalb der Familie gefällt werden. Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die innerfamiliären notwendigen Entscheidungen bestmöglich den genannten Zielen entsprechen. Dazu zählt die Garantie des Existenzminimums für Kinder und Eltern, die Ermöglichung von sozialversicherungspflichtiger gut bezahlter Teilzeit für Väter und Mütter sowie den Abbau von Anreizen für geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Außerdem sind Veränderungen bei der Kinderbetreuung notwendig.

Politische Maßnahmen

Kindergrundsicherung für alle Kinder

Um das Existenzminimum für alle Kinder zu garantieren, ist eine Kindergrundsicherung am besten geeignet. Derzeit gibt es vier unterschiedliche Leistungen für die Mindestabsicherung von Kindern:

1)      Alle Eltern erhalten für ihre Kinder das Kindergeld. Das Kindergeld ist dabei eigentlich keine Sozialleistung, sondern ist eine Vorauszahlung des Kinderfreibetrags der Einkommensteuer und ist deshalb auch im Einkommensteuergesetz geregelt.

2)      Wer ein hohes Einkommen hat, profitiert von den Kinderfreibeträgen stärker als vom Kindergeld, und zwar umso mehr je höher das Einkommen ist. Das Finanzamt prüft im Rahmen der Einkommensteuererklärung automatisch, ob das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag für die Familie günstiger ist und reduziert gegebenenfalls die Steuerschuld bzw. zahlt dadurch zu viel gezahlte Steuern zurück.  

3)      Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, weil sie kein oder nur ein geringes Einkommen haben, bekommen für ihre Kinder ein Sozialgeld, das im Sozialgesetzbuch II (SGB II) geregelt ist. Es gehört also zu den „Hartz IV“-Leistungen.

4)      Eltern mit etwas höherem Einkommen als das Grundsicherungsniveau haben die Möglichkeit, einen Kinderzuschlag zu erhalten, falls dieser dazu führt, dass die Familie keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld II und Sozialgeld hat.

Dieses derzeitige „System“ hat eine ganze Reihe von Nachteilen. Die einzelnen Leistungen sind unzureichend aufeinander abgestimmt. So führt eine Kindergeld-Erhöhung nicht automatisch dazu, dass auch Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, mehr Geld bekommen, weil das Kindergeld als vorrangige Leistung komplett angerechnet und somit die Leistung aus dem SGB II reduziert wird. Das ist durchaus als Ungerechtigkeit im bestehenden System anzusehen. Zudem erhalten Eltern mit mittleren Einkommen weniger finanzielle Unterstützung als Eltern mit hohen Einkommen. Ein wesentliches Problem ist, dass Eltern mit geringen Einkommen die Leistungen nicht automatisch ausgezahlt bekommen. Dadurch entsteht verdeckte Armut bei Familien. Das gilt insbesondere für Eltern, die Anspruch auf den Kinderzuschlag hätten, diesen aber nicht in Anspruch nehmen, weil sie beispielsweise nicht über diese Leistung informiert sind oder sie den Ämtergang scheuen.

Das alles ist ungerecht und deshalb gibt es den Vorschlag einer Kindergrundsicherung, die diese vier Leistungen durch eine ersetzt. Das würde allen Kindern zu Gute kommen und nicht mehr die Kinder von Besserverdienenden bevorteilen. Die ursprüngliche Idee des „Bündnis für Kindergrundsicherung“ bestand darin, den Kinderfreibetrag in voller Höhe an alle Eltern als zu versteuerndes Einkommen auszuzahlen. Alle Eltern, die ein Einkommen unter dem Grundfreibetrag haben, erhielten die Kindergrundsicherung also in voller Höhe. Netto würde die Leistung dann mit zunehmendem Einkommen abnehmen. Die Reichsten würde die gleiche Leistung wie bisher erhalten. Alle anderen hätten eine höhere Unterstützung. Kinderarmut würde dadurch sehr stark absinken. Nachteil dieses sehr schönen und effektiven Vorschlags ist jedoch, dass er relativ teuer ist.

Bündnis 90/ Die Grünen haben einen Vorschlag für eine Kindergrundsicherung vorgelegt, der deutlich weniger kostet, aber die wesentlichen Ziele trotzdem erreicht. Er besteht aus einem Garantiebetrag, der für alle gleich hoch ist und der höchsten Steuerersparnis durch die Kinderfreibeträge entspricht. Damit wird erreicht, dass Familien mit mittleren Einkommen so viel für ihre Kinder bekommen wie Familien mit hohen Einkommen. Außerdem führt das dazu, dass auch Familien mit geringen Einkommen zumindest diesen Betrag erhalten. Er liegt allerdings unter dem sächlichen Existenzminimum. Deswegen gibt es bei der grünen Kindergrundsicherung einen zusätzlichen einkommensabhängigen Betrag, der soweit möglich, automatisch ausgezahlt werden soll. Dieser sorgt dann zusammen mit dem Garantiebetrag dafür, dass das Existenzminimum für alle Kinder garantiert ist. 

Maßnahmen nach Entwicklungsphasen

Für die weitere Ausgestaltung der politischen Maßnahmen muss zwischen den einzelnen Entwicklungsphasen der Kinder unterschieden werden, weil sich die Bedürfnisse sowohl der Kinder als auch der Eltern in den verschiedenen Phasen verändern. Entsprechend hat das Auswirkungen für die Anforderungen an die Kinderbetreuung und für die Frage, wie die Garantie der Existenzsicherung der Eltern gestaltet werden sollte.

Kleinkinder

Am Anfang des Lebens sollte zumindest immer ein Elternteil für das Kind da sein. Um das zu unterstützen, gibt es Elternzeit und Elterngeld. Insbesondere das Elterngeld muss jedoch reformiert werden. 1986 wurde der Vorläufer des Elterngeldes, das Erziehungsgeld, eingeführt. Das Erziehungsgeld hatte eine einheitliche Höhe von 600 DM. Dieses wurde 2007 durch das Elterngeld ersetzt, dessen Höhe vom vorherigen Einkommen abhängig ist. Das Elterngeld hat aber auch einen Mindestbetrag, der der Höhe des früheren Erziehungsgeldes entspricht. Dieser Betrag ist allerdings seit seiner Einführung 1986 (!) nie angepasst worden. Seinerzeit entsprach das der Höhe der durchschnittlichen Sozialhilfeleistung. Eine Forderung ist daher, das Mindestelterngeld zumindest auf den Regelbedarf der Grundsicherung anzuheben.

Neben der Höhe des Mindestelterngeldes gibt es weiteren Reformbedarf beim Elterngeld, um die Schieflage bei der Inanspruchnahme von Müttern und Vätern aufzuheben. Erfreulicherweise steigt der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen und Elterngeld beziehen. Allerdings ist der Anteil immer noch deutlich geringer als der der Mütter. Väter beziehen vor allem deutlich kürzer Elterngeld. Die heutige Regelung ist so, dass die Bezugsdauer mindestens 12 Monate beträgt. Wenn beide Elternteile mindestens 2 Monate Elterngeld beziehen, verlängert sich diese Zeit um 2 Monate auf 14 Monate. Umgangssprachlich werden diese zwei Monate manchmal auch Partnermonate oder Vätermonate genannt, was sie nicht sind, denn auch Väter können wie Mütter bis zu 12 Monate Elterngeld erhalten. Ein populärerer Vorschlag ist, diese von zwei auf vier oder sechs Monate zu erhöhen, um eine längere Elternzeit, sowohl insgesamt als insbesondere der Väter, zu erreichen. Das ginge zwar in die richtige Richtung, ich halte das aber für unzureichend, u.a. weil es immer noch suggeriert, dass im Standardfall ein Elternteil, meist die Mutter, 12 Monate Elterngeld bezieht, und der andere nur die Partnermonate. Den stärksten Anreiz dafür, dass Väter im gleichen Umfang wie Mütter Elterngeld beziehen, würde dadurch erreicht, dass beide einen individuellen Anspruch auf die gleiche Anzahl von Monaten erhalten, z.B. 12 Monate. Zeiten, die nicht in Anspruch genommen werden, würden dann ähnlich wie die heutigen „Partnermonate“ entfallen. Eine Zwischenlösung ist, dass die maximale Zeit für den Bezug des Elterngeldes gedrittelt wird. Bei Paarhaushalten hat jeder Elternteil Anspruch auf ein Drittel der Monate und das dritte Drittel kann frei zwischen den Eltern aufgeteilt werden. Bündnis 90/ Die Grünen schlagen 8 Monate pro Elternteil vor und 8 weitere Monate, die frei aufgeteilt werden können. Bei allen Vorschlägen würden Alleinerziehende die Gesamtzeit Anspruch auf Elterngeld erhalten.

Eine solche Regelung ermöglicht, dass in den ersten beiden Lebensjahren zumindest ein Elternteil die ganze Zeit zu Hause sein kann. Es sollte aber so ausgestaltet sein, dass es den Eltern auch erlaubt, das so zu organisieren, dass sich die Zeiten überlappen oder, dass beide in Teilzeit erwerbstätig sind und sich die Zeit zu Hause teilen. Ob und in welchem Maße das Kind in den ersten beiden Lebensjahren außerhalb der Kernfamilie betreut werden soll, könnten die Eltern dann selbstbestimmter entscheiden als heute, weil das dann nicht oder zumindest weniger davon abhängig ist, dass die Eltern erwerbstätig sein müssen. Außerdem kann die Entscheidung stärker davon abhängig gemacht werden, was für das Kind gut ist. Insbesondere in den ersten beiden Lebensjahren ist die Art und der Umfang einer Kinderbetreuung auch von der individuellen Entwicklung des Kindes abhängig und sollte nicht von ökonomischen Zwängen abhängig sein.

Kindergartenkinder

Ab einem bestimmten Alter ist eine öffentliche Kinderbetreuung mit anderen für alle Kinder gut. Die meisten Kinder gehen ab drei Jahren im Kindergarten. Im Kindergarten sollte die Betreuung so angeboten werden, dass dann beide Elternteile einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeiterwerbstätigkeit nachgehen können, wenn sie es wollen. Das heißt erstens, dass die Kinder mindestens 6 Stunden betreut werden sollten. Zweitens ist es sinnvoll, dass die Betreuungszeiten auch so flexibel sind, dass Eltern auch einer Erwerbtätigkeit nachgehen können, die nachmittags oder abends stattfindet.

Zwischen der maximalen Inanspruchnahme des Elterngeldes (zurzeit 14 Monate) und dem Beginn des Kindergartens (in der Regel ab 3 Jahren) klafft übrigens eine Lücke, die geschlossen werden sollte. Dieses kann durch Verlängerung der Bezugszeit des Elterngeldes und/ oder durch Absenkung des üblichen Alters der Kinderbetreuung erfolgen. Ich halte eine Verlängerung des Elterngeldes auf bis zu 24 Monaten, wie Bündnis 90/ Die Grünen es vorschlagen, bei gleichzeitigem Herabsetzen des Kindergartenalters von 3 auf 2 Jahre für eine sinnvolle Lösung. Das gewährleistet, dass eine erfolgte Erwerbsunterbrechung nicht zu lange dauert und Eltern in den ersten beiden Jahren freier über die Art der Kinderbetreuung entscheiden können. Zumindest aber bedarf es eines Ausbaus der Kinderbetreuung zwischen Beendigung des Elterngeldes und des Eintritts in den Kindergarten.

Schulkinder

Leider kommt es immer noch vor, dass die Betreuungssituation in der Grundschule schlechter ist als in der Kindergartenphase. Das führt dazu, dass insbesondere Mütter, seltener Väter, nach der Kindergartenphase ihre Erwerbsarbeitszeit reduzieren oder sogar ganz aufgeben müssen. Daher ist ein Ausbau der Nachmittagsbetreuung für Grundschulkinder so wichtig. Spätestens für die weiterführenden Schulen sollte dann eine Ganztagsschule üblich sein. Aus Gründen der Chancengleichheit sollte das idealerweise aber schon in der Grundschulphase die Regel sein. Dabei ist allerdings wichtig, dass das auch mit einem Ganztagsschulkonzept stattfindet, bei der es zwischendurch genügend zeitliche Freiräume für die Kinder gibt. Dazu gehört auch, dass es nach der Schule dann keine Hausaufgaben mehr gibt, sondern Übungsphasen in den Ganztagsschulbetrieb eingebaut werden. So steht dann nach der Schule mehr Zeit mit den Eltern oder anderen Kindern zur freien Verfügung.

Garantie des Existenzminimums bei Teilzeiterwerbstätigkeit

In den ersten beiden Lebensjahren des Kindes sollte es ermöglicht werden, dass mindestens ein Elternteil ganz mit der Erwerbsarbeit aussetzt oder beide nur Teilzeit erwerbstätig sind. Das Ganze sollte finanziell durch ein verbessertes Elterngeld abgesichert werden. Im Kindergartenalter sollte die Betreuung so gestaltet sein, dass einerseits beide Elternteile zumindest einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeit nachgehen können. Um mehr Zeit für die Kinder zu ermöglichen, sollten andererseits gerade in dieser Phase aber auch nicht beide Elternteile vollzeiterwerbstätig sein müssen. Auch während der Schulzeit sollte eine Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit für die Eltern möglich sein. All dies gilt in besonderem Maße für Alleinerziehende.

Voraussetzung dafür ist, dass auch bei einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeiterwerbstätigkeit das Existenzminimum garantiert ist. Eine Erhöhung des Mindestlohns, der notwendig ist, damit Vollzeiterwerbstätige einen Lohn über dem Existenzminimum haben, hilft bei Teilzeiterwerbstätigkeit nur wenig, da auch bei höheren Stundenlöhnen der Monatslohn noch unter dem Existenzminimum liegt. In diesen Fällen erfolgt derzeit die Existenzsicherung über die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, also das Arbeitslosengeld II. Dieses ist aber aus mehreren Gründen für Eltern nicht geeignet, die freiwillig teilzeiterwerbstätig sind, um mehr Zeit für die Kinder zu haben. Sie suchen ja gar keine (zusätzliche) Erwerbstätigkeit und brauchen also keine Unterstützung für eine Arbeitsuche und sollten auch nicht vom Jobcenter gezwungen oder gedrängt werden können, eine Vollzeiterwerbstätigkeit anzunehmen. Darüber hinaus wirkt der Bezug von Arbeitslosengeld II für viele abschreckend, weil er häufig mit Stigmatisierung verbunden und die Bedürftigkeitsprüfung sehr bürokratisch ist. Beides zusammen führt dazu, dass auch Menschen, die eigentlich einen Anspruch darauf hätten, die Leistung nicht beantragen. Das ist insbesondere bei Erwerbstätigen der Fall. Je nach Untersuchung beziehen nur ein Drittel bis maximal die Hälfte der berechtigten Erwerbstätigen ergänzendes Arbeitslosengeld II. Zudem wissen viele Erwerbstätige gar nicht, dass sie beim Jobcenter Arbeitslosengeld II beantragen können. Wenn sie Arbeitslosengeld II beziehen gibt es schließlich das Problem, das zusätzliche Erwerbstätigkeit das verfügbare Einkommen nur unzureichend oder sogar gar nicht erhöht. Das liegt daran, dass zusätzliches Einkommen zu 80% bis 100% angerechnet wird. Diese so genannte Transferentzugsrate hat zur Folge, dass eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit nur zu einem geringen oder gar keinem Einkommenszuwachs führt. Durch das Zusammenspiel von verschiedenen Sozialleistungen kann die Transferentzugsrate sogar über 100% beantragen. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind und durchschnittlichen Wohnkosten ist es zum Beispiel so, dass das Nettoeinkommen ab einem Einkommen ab 1700 Euro brutto mit zusätzlichem Einkommen zunächst sinkt. Erst bei einem Einkommen von 2700 Euro brutto ist dann das Nettoeinkommen wieder so hoch wie mit 1700 Euro brutto.

Um diese Probleme zu vermeiden, ist die Garantie des Existenzminimums über die Einkommensteuer eine gute Lösung. Eine Zahlung durch das Finanzamt, die auch negative Einkommensteuer genannt wird, gibt es bereits in anderen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien oder den USA in Form eines so genannten Tax Credits für Erwerbstätige. Ein Tax Credit bzw. eine negative Einkommensteuer sollte so ausgestaltet sein, dass geringes Einkommen zumindest für Erwerbstätige, die mehr als geringfügig (also im Minijob) beschäftigt sind, so aufgestockt wird, dass das Nettoeinkommen über dem Existenzminimum liegt und zusätzliches Einkommen im Gegensatz zu heute auch zu einem spürbar höheren Einkommen führt. Bei abhängig Beschäftigten kann die Auszahlung der negativen Einkommensteuer ähnlich wie die Abführung einer positiven Einkommensteuer über den Arbeitgeber erfolgen. Selbständige müssten einen einfachen Antrag an das Finanzamt stellen, um eine Zahlung zu erhalten. In jedem Fall sollte die Aufstockung spätestens im Rahmen der Einkommensteuererklärung erfolgen, indem ähnlich wie heute beim Kinderfreibetrag eine automatische so genannte Günstigerprüfung durch das Finanzamt erfolgt.

Zusammen mit einer Kindergrundsicherung würde das dazu führen, dass bei Alleinerziehenden, die einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung nachgehen, das Existenzminimum garantiert ist. Das Gleiche gilt bei Paarhaushalten, wenn beide Elternteile mehr als geringfügig beschäftigt sind. In diesen Fällen müssten also Eltern in der Regel nicht mehr zum Jobcenter, um ergänzendes Arbeitslosengeld II zu beantragen.

Fazit

Viele Kinder und Eltern wünschen sich „Mehr Zeit für Kinder“. Ganz offensichtlich gibt es hier ein Defizit und politischen Handlungsbedarf. Aufgabe von Politik ist, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden und sie selbstbestimmt und ohne ökonomische Zwänge entscheiden können. Wenn die Kinder noch klein sind, sollte es deswegen ermöglicht werden, dass immer wenigstens ein Elternteil nicht erwerbstätig sein muss, am besten so, dass sich Väter und Mütter die Zeit für die Kinder gerecht aufteilen. Sind die Kinder größer, ist es zentral, sozialversicherungspflichtige Teilzeit zu ermöglichen, durch bessere Kinderbetreuung auf der einen Seite und durch eine bessere Existenzsicherung auf der anderen Seite. Dadurch werden die Rahmenbedingungen für ein besseres und selbstbestimmteres Gleichgewicht zwischen Erwerbsarbeit und Leben bei den Eltern und gleichzeitig für mehr Zeit für die Kinder geschaffen. 


[1] Eltern können zwei Mütter, zwei Väter oder Vater und Mutter o.ä. sein. Die Zahl der Kinder, die in Deutschland in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften (Regenbogenfamilien) aufwachsen, steigt stetig. Die hier aufgeführten Forderungen gelten für alle Familien gleichermaßen.

Die „Stimme der Familie“ ist eine familien- politische Fachzeitschrift mit Beiträgen aus Politik, Praxis und Wissenschaft. Sie erscheint sechsmal im Jahr und wendet sich an alle, die sich für Familienpolitik und die Arbeit des Familienbundes der Katholiken interessieren. Für das Heft 2/2020 schrieb Dr. Strengmann-Kuhn den Beitrag „Mehr Zeit für Kinder ermöglichen“.

Informationen zum Heft und zum Verband finden Sie hier: www.familienbund.org/publikationen/stimme-der-familie

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