Persönliche Erklärung | Zur Abstimmung zur Änderung des SGB XII und des SGB XIV
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Persönliche Erklärung von Wolfgang Strengmann-Kuhn gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags
zur Abstimmung bei TOP 15 über die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (Drucksache 209195) zum Gesetz zur Anpassung des Zwölften und des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Gesetze (Drucksache 20/8344)
Ich werde dem Gesetz zustimmen. Allerdings gibt es eine Änderung, die ich ablehne. Mit dem Gesetz wird eine signifikante Verschlechterung für geflüchtete Personen in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit herbeigeführt. Menschen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen und in einer solchen Unterkunft leben, wird zukünftig weniger Geld zur Verfügung stehen, da die Regelbedarfsanteile für Nahrungsmittel und Strom abgezogen werden. Begründet wird die Kürzung mit dem Verweis darauf, dass die Unterkunft Essen während bestimmter Essensabholzeiten anbietet. Die Kürzung betrifft vor allem Personen aus der Ukraine, die durch den „Rechtskreiswechsel“ direkt Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder XII erhalten. Ebenso betroffen sind z. B. auch anerkannte Geflüchtete, die aufgrund des Wohnraummangels keine eigene Wohnung finden und in den Unterkünften verbleiben.
Betroffen sind vor allem Menschen, die bereits an Integrationskursen oder Arbeitsmaßnahmen teilnehmen oder deren Kinder, die die Schule besuchen. Essensabholzeiten in den Unterkünften können aufgrund dessen oft nicht eingehalten werden. Die Gewährung von Sachleistungen in Form eines Lunchpakets ist kein adäquater Ersatz für eine warme Mittagsmahlzeit. Durch die nun gekürzten Leistungen haben sie noch weniger Mittel zur Verfügung, sich außerhalb der Unterkunft mit warmem Essen zu versorgen.
In manchen Unterkünften wurden vor Ort Lösungen gefunden, die das Abrechnen der Mahlzeiten von Personen im SGB II/SGB XII-Bezug ermöglichen, während Personen aus anderen Rechtskreisen das Essen weiterhin als Sachleistung erhalten. Die Menschen können selbst entscheiden, ob sie das Essen vor Ort in Anspruch nehmen und dafür zahlen wollen.
Statt auf Lösungen vor Ort zu setzen, werden die pauschalen Kürzungen in der Praxis zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führen. Die zuständigen Jobcenter bzw. Agenturen für Arbeit (SGB II) oder die zuständigen Träger der Sozialhilfe (SGB XII) müssen in den entsprechenden Fällen die abweichenden Regelbedarfe feststellen und Auszahlungssummen festlegen. Bei Auszug aus der Unterkunft und Verbleib im Leistungsbezug müssen die Beträge wieder angepasst werden. Zudem entsteht ein zusätzlicher Aufwand, da den Betreibern der Unterkünfte die Aufwendungen zu erstatten sind.
An den bereits zu gering bemessenen Regelsätzen wird eine Kürzung vorgenommen. Die komplette Streichung des Anteils für Essen ist daher aus meiner Sichtproblematisch. Sie bedeutet einen Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte der Menschen. Ihnen wird die Möglichkeit genommen, selbst über das ihnen bereitgestellte Geld zu verfügen und zu entscheiden, was, wo und wann sie essen. Ich finde das bevormundend.
Vor allem aber behindert die Streichung des Regelsatzanteils für Nahrungsmittel die Integration. Menschen, die Sprachkurse oder berufliche Qualifizierungsangebote besuchen oder sogar arbeiten und nur ergänzend Sozialleistungen erhalten, haben künftig kaum noch Möglichkeiten, mit Kolleg*innen mittags essen zu gehen oder einen Kaffee zu trinken. Dabei sind es genau diese Kontakte, die wesentlich zu einer gelingenden Integration beitragen und das Erlernen der deutschen Sprache beschleunigen.
Das Prinzip der Sachleistungen wird bisher vor allem im Rechtskreis des Asylbewerberleistungsgesetzes angewendet. Auch hier kritisiere ich seit jeher die Erbringung des Essens als Sachleistung. Als Sachleistung erbrachtes Essen ist häufig quantitativ und qualitativ unzureichend und entspricht nicht den individuellen Ernährungsgewohnheiten und -bedarfen (keine Rücksicht auf Unverträglichkeiten etc.). Der reale Warenwert der erbrachten Sachleistungen für den »notwendigen Bedarf« an Ernährung liegt in der Regel unter dem dafür vorgesehenen Regelbedarfsanteil (vgl. Classen 2022).
Mit der hier beschlossenen Änderung wird nun das Prinzip der Sachleistungen für einen definierten Personenkreis unbefristet im SGB II und XII eingeführt. Diese Regelung behindert die Integration und ich sehe die Gefahr, dass diese Leistungseinschränkungen auf weitere Personengruppen ausgeweitet werden.
Gleichzeitig stehen viele wichtige und sinnvolle Regelungen in diesem Änderungsgesetz. Dazu zählt insbesondere die gesetzliche Verankerung eines sogenannten Eingliederungsversuchs von sechs Monaten für Erwerbsminderungsrentner*innen im SGB VI. Damit eröffnet sich die Möglichkeit für Erwerbsminderungsrentner*innen wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Sechs Monate ändert sich dabei in der Regel nichts an ihrem Status als Rentner*innen. Die Regelung schafft vor allem Rechtssicherheit. Sie wurde von der Deutschen Rentenversicherung bereits erfolgreich erprobt.
Das ist eine entscheidende Verbesserung. Denn sie erkennt an, dass sich der gesundheitliche Zustand einer Person und deren berufliche Perspektive im Laufe der Zeit trotz gegenteiliger Erwartung verändern können. Das ist nicht nur eine Chance für die betroffene Person: Angesichts des großen Arbeits- und Fachkräftemangels sollten wir alles tun, jede verschlossene Tür zum Arbeitsmarkt zu öffnen. Profitieren werden z. B. Personen, deren Zustand sich nach jahrelanger psychischer Erkrankung langsam gebessert hat. Häufig können sie nur schwer einschätzen, wie gut sie mehr Arbeitsbelastung aushalten würden. Hinzu kommt, dass ein EM-Rentenstatus oft aufwendig erkämpft wurde. – Damit die Tür sich öffnet, braucht es also einen geschützten Versuch. Genau das sichern wir jetzt rechtlich ab.
Darüber hinaus verbessert das Gesetz die Hinzuverdienstgrenzen von Unter-25-Jährigen im SGB XII und in der Kriegsopferfürsorgeverordnung analog zum SGB II und verlängert die Möglichkeit eines Eingliederungszuschuss für über 55-jährige Erwerbslose im SGB III. Im SGB XIV werden u. a. die monatlichen Entschädigungszahlungen für minderjährige Kinder erhöht und die Unpfändbarkeit von Leistungen zum Lebensunterhalt verankert.
Sehr gut ist auch die Streichung der Anrechnung von Gutscheinen als Einkommen im SGB XII. Hiermit wird an eine Angleichung der Regelungen zwischen SGB II und SGB XII erreicht. Es sind allerdings aus meiner Sicht weitere Angleichungen der Regelungen des SGB XII an das SGB II notwendig. Das betrifft vor allem die Regeln zur Anrechnung von eigenem Einkommen und die Regelungen hinsichtlich der Vermögensgrenze. Perspektivisch wäre ein Bürgergeld für alle Bürger*innen, die in Deutschland leben, wünschenswert. Neben den derzeitigen Bürgergeld-Berechtigten nach dem SGB II wären das diejenigen die derzeit Anspruch auf SGB XII-Leistungen haben und auch jene, die heute BAföG beziehen können bzw. Leistungen nach dem AsylbLG erhalten. Außerdem sollten auch EU-Bürger*innen nicht mehr im SGB II ausgeschlossen werden, damit auch diese Bürger*innen einen Anspruch auf Bürgergeld erhalten, wenn sie in Deutschland leben.
Solche umfassenden, grundlegenden Änderungen waren nicht Gegenstand der Beratungen zu diesem Gesetzentwurf, bei dem es im Wesentlichen um Änderungen technischer, verfahrensrechtlicher oder redaktioneller Natur ging. Bei den materiellen Punkten gibt es Verbesserungen und vor allem eine gravierende Verschlechterung. In der Gesamtabwägung stimme ich dem Gesetz dennoch zu.
Wolfgang Strengmann-Kuhn