Warum fallen die falschen Aussagen zu den mangelnden Arbeitsanreizen durch das Bürgergeld auf so fruchtbaren Boden?

Seit Wochen geht die Behauptung durch das Land, dass sich durch die Einführung des Bürgergeldes Arbeit nicht mehr lohnen würde. Diese Aussage ist objektiv falsch. Im Gegenteil: Durch das Bürgergeld werden (zusätzliche) Erwerbstätigkeit und auch Weiterbildung stärker belohnt als das bei „Hartz IV“ der Fall ist. So wird Erwerbseinkommen geringer angerechnet, wodurch Erwerbstätige, die ihr Einkommen mit Bürgergeld aufstocken, mehr behalten dürfen als bisher. Hinzu kommt noch die Anhebung des Mindestlohns, so dass insgesamt der Lohnabstand nicht verringert, sondern sogar vergrößert wird.

Am 9. Februar 2010  hat das Bundesverfassungsgericht das so genannte Lohnabstandsgebot für verfassungswidrig erklärt. Die Gewährung des Existenzminimums ist ein Grundrecht und muss deshalb gewährt werden. Das ist auch der Grund warum ein Lohnabstandsgebot bei der Grundsicherung keine Rolle spielen darf. Natürlich sollte ein  Arbeitseinkommen höher sein als ohne Erwerbstätigkeit. Das ist meines Erachtens eine Frage der Gerechtigkeit. Aber genau hier gibt es heute durchaus Probleme. Und vielleicht ist das der Grund, warum im letzten Politbarometer 68% der Befragten angaben, dass die Kritik, beim Bürgergeld würde es zu wenig Anreize geben, einen Job anzunehmen, berechtigt sei. Fakt jedoch ist: das Problem wird durch das Bürgergeld kleiner und eben nicht größer wird. Übrigens ist ein Grundeinkommen sogar die beste Lösung für die bestehenden Probleme. Dazu später mehr. Was aber sind die derzeit grundsätzlich bestehenden Probleme?

Erstens: In Deutschland gibt es 3 Millionen Erwerbstätige, die ein Einkommen unter der Armutsgrenze haben. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.  Das Einkommen sollte bei Erwerbstätigkeit  grundsätzlich spürbar über der Armutsgrenze liegen. Dies ist jedoch bei vielen Menschen mitnichten der Fall, – sogar bei Vollzeiterwerbstätigkeit. Der Mindestlohn hat das Ziel sicherzustellen, dass Alleinstehende, die Vollzeit arbeiten, ein Einkommen über dem Grundsicherungsniveau haben. Für Vollzeiterwerbstätige kann es derzeit zu einem Einkommen unter dem Grundsicherungsniveau kommen, wenn sie Kinder haben und/oder eine Partner*in, die nicht auch vollzeiterwerbstätig ist. Um Armut trotz Erwerbstätigkeit zu verhindern, sind für diese Gruppen einerseits Hürden abzubauen, die dafür sorgen, dass insbesondere Frauen nicht oder nur geringfügig erwerbstätig sind, und andererseits die Leistungen für Kinder zu verbessern. Die Anhebung des Kindergelds auf 250 Euro war dafür ein wichtiger Schritt in Richtung der geplanten Kindergrundsicherung.

Zweitens: Wenn Erwerbstätige Sozialleistungen beziehen, ist nicht sichergestellt, dass zusätzliche Erwerbstätigkeit auch zu spürbar höherem Einkommen führt. Durch das Zusammenspiel von verschiedenen Leistungen kann es sogar dazu kommen, dass das Einkommen mit zusätzlicher Erwerbstätigkeit sinkt.  Im neuen Bürgergeld wird Erwerbsarbeit jetzt stärker belohnt, weil bei einem Einkommen über 520 Euro mehr Geld übrigbleibt als bisher, und zwar bis zu 48 Euro pro Monat zusätzlich. Das ist aber nur der erste Schritt. In einem zweiten Bürgergeldgesetz wollen wir die Einkommensgruppe ab 1000 Euro in den Blick nehmen, bei der bisher zusätzliches Einkommen zu 90% bis 100% angerechnet wird. Lösungen dafür sind komplex, weil dazu auch weitere, bisher bestehende Leistungen für diese Bevölkerungsgruppe, nämlich zum Beispiel das Wohngeld oder der Kinderzuschlag betrachtet werden müssen. Insbesondere für die Gruppe mit geringen Erwerbseinkommen, die ergänzende Sozialleistungen bezieht, lohnt sich zusätzliche Erwerbstätigkeit dann häufig tatsächlich nicht. Zu ihnen gehören vor allem teilzeiterwerbstätige Alleinerziehende, Selbständige sowie Paare, bei denen nur eine Person Vollzeit erwerbstätig ist. Viele von ihnen haben übrigens schon heute Anspruch auf Grundsicherung, nehmen diesen aber häufig nicht wahr.

Deswegen ist die häufig gemachte Trennung in Nichterwerbstätige, die Grundsicherung beziehen, und Erwerbstätige, die das alles finanzieren würden, eine künstliche Trennung, die schon heute nicht stimmt. So beziehen fast eine Million Erwerbstätige Arbeitslosengeld II – und mindestens eine weitere Million hätte einen Anspruch darauf. Die Umbenennung von Arbeitslosengeld II in Bürgergeld macht stärker deutlich, dass nicht nur Arbeitslose, sondern alle Bürger:innen einen Anspruch haben, wenn sie über geringe Einkommen verfügen. Das ist nicht nur ein sehr inklusiver Ansatz. Das kann außerdem ein Schritt zur Verringerung der verdeckten Armut von Erwerbstätigen sein.

Das Ziel, dass das Existenzminimum für alle garantiert wird und sich gleichzeitig zusätzliche Arbeit immer lohnt, wäre übrigens am besten durch ein Grundeinkommen zu erreichen. Es ist ja gerade Wesen eines Grundeinkommens, dass es alle erhalten, also auch Erwerbstätige – ohne dafür zum Jobcenter zu müssen und Arbeitslosengeld II bzw. künftig Bürgergeld zu beantragen. Und zusätzliche Erwerbstätigkeit wird bei einem Grundeinkommen immer honoriert, weil das Einkommen nicht auf das Grundeinkommen angerechnet wird. Bei zusätzlicher Erwerbstätigkeit müssten natürlich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Aber das ist deutlich weniger als die heutigen 80 bis 100 Prozent Grenzbelastung für Erwerbstätige mit geringen Einkommen, die Sozialleistungen beziehen.

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