Rede | Erwerbstätige haben immer mehr Einkommen als Nicht-Erwerbstätige
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Protokoll der Rede vom 01.02.2024 im Deutschen Bundestag
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete! Liebe Zuschauende! Wer in Deutschland erwerbstätig ist, hat immer mehr Einkommen, als wenn man nicht erwerbstätig ist.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald (fraktionslos) – Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Zu welchem Stundenlohn?)
Es gibt einen Einkommensabstand zwischen Arbeit und Nichtarbeit; das haben viele empirische Untersuchungen deutlich gemacht.
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter (AfD))
Man kann darüber streiten, ob der Einkommensabstand groß genug ist. Aber Fakt ist: Es war diese Koalition, die den Einkommensabstand erhöht hat. Sie haben das 16 Jahre lang nicht gemacht. Wir haben den Einkommensabstand erhöht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann (SPD))
Wir haben das im Bürgergeld gemacht, indem das eigene Einkommen weniger stark angerechnet wird. Erwerbstätige im Bürgergeld haben jetzt bis zu 50 Euro mehr im Monat – mehr, als das bei Ihnen der Fall war. Wir haben den Einkommensabstand auch durch den Mindestlohn erhöht. Der Kollege Martin Rosemann hat das vorhin schon gesagt: Der Mindestlohn ist stärker gestiegen als das Bürgergeld. Der Einkommensabstand ist durch die Ampel erhöht worden.
(Zuruf der Abg. Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Damit nicht genug: Wir wollen noch weitergehen. Wir wollen beim Bürgergeld noch einmal die Anreizwirkungen stärken, noch einmal weniger beim Einkommen anrechnen. Wir wollen auch durch eine stärkere Tarifbindung, dass die Löhne noch stärker steigen. Wir sind diejenigen, die den Einkommensabstand erhöhen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Einkommensabstand ist da, und es muss – –
(Abg. Stephan Stracke (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Frau Präsidentin? Aber ich kann auch gerne weiterreden.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Entschuldigung! Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Stracke?
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr gern.
Stephan Stracke (CDU/CSU):
Vielen herzlichen Dank, Herr Strengmann-Kuhn, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade angesprochen, dass Sie wieder mehr dafür sorgen wollen, dass sich Arbeit lohnt, dass sich auch Mehrarbeit in diesem Land tatsächlich lohnt, weil Arbeit den Unterschied macht.
Ich möchte Ihnen mal ein Beispiel des ifo-Instituts darlegen, das Folgendes berechnet hat: Ein Ehepaar mit zwei Kindern verfügt über ein Bruttoeinkommen von 3 000 Euro pro Monat bei einem Stundenlohn von 20 Euro, also deutlich über dem Mindestlohn, und einer Arbeitszeit von 37,5 Stunden die Woche. Das Paar wohnt in einer der großen Ballungsregionen, wo Wohnen auch teuer ist. Jetzt überlegt sich das Ehepaar, 25 Stunden pro Woche mehr zu arbeiten. Dadurch steigt das Bruttoeinkommen um 2 000 Euro, von 3 000 auf 5 000 Euro. Das ifo-Institut hat berechnet, dass das verfügbare Einkommen dann tatsächlich um 32 Euro steigt. Um 32 Euro, obwohl sie tatsächlich 2 000 Euro mehr Bruttoeinkommen erzielen!
(Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat doch mit dem Bürgergeld nichts zu tun!)
Herr Strengmann-Kuhn, ich glaube, wir sind da einer Meinung, dass das nicht bedeutet, dass sich Mehrarbeit tatsächlich lohnt.
(Stephanie Aeffner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch nicht neu! – Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist der Zustand nach 16 Jahren!)
Jetzt möchte ich gerne von Ihnen wissen, wie Sie denn sicherstellen wollen, dass Mehrarbeit in diesem Land tatsächlich den Unterschied macht.
(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie viele Ehepaare mit 3 000 Euro in teuren Ballungsräumen gibt es denn? Und was ist mit Wohngeld? – Stephan Brandner (AfD): Ganz ruhig, Grüner!)
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Kollege Stracke für diese Frage. Diesen Punkt hatte ich eigentlich in meiner Rede gar nicht vorgesehen; aber es ist in der Tat ein wichtiger Punkt.
(Norbert Kleinwächter (AfD): Zahlen sehen Sie nie vor!)
Sie haben recht mit den Zahlen. Und es ist an dieser Stelle auch wieder so wie mit dem Hasen und dem Igel: Der Igel ist schon da. Im Koalitionsvertrag der Ampel steht nämlich schon drin, dass wir genau an dieser Stelle ein Problem haben.
(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Ah!)
Das Problem ist richtig beschrieben; aber es ist nicht das, was sie immer sagen. Es geht nicht um das Thema „Arbeit soll sich lohnen“, sondern um Mehrarbeit. Die muss sich mehr lohnen.
(Norbert Kleinwächter (AfD): Wann kommt das denn?)
Das wollen wir ändern; das steht im Koalitionsvertrag drin. Und jenes ifo-Institut – Sie zitieren nämlich gerade aus einer Studie, die im Auftrag des BMAS gemacht worden ist und auf dem Koalitionsvertrag beruht – hat einen Vorschlag vorgelegt, wie wir das machen können. Im Koalitionsvertrag steht genau dieses Verfahren drin, und wir wollen das umsetzen.
Wir wollen die Situation verbessern, damit sich nicht nur Arbeit, sondern auch Mehrarbeit stärker lohnt.
(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU))
Dazu wird das Arbeitseinkommen weniger angerechnet. Das wollen wir noch machen, und das werden wir auch tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Das ist nicht die Lösung! – Norbert Kleinwächter (AfD): Also, im Moment ist es nicht so! Sehr schön, dass Sie das zugegeben haben! Arbeit lohnt sich nicht!)
Zurück zum Haushalt. Haushalt funktioniert ja so: Die Bundesregierung macht einen Vorschlag, und am Ende entscheiden wir. Als der Haushaltsentwurf im letzten Sommer vorlag, war ich tatsächlich auch nicht ganz zufrieden. Wir hatten gerade – übrigens gemeinsam mit Ihnen von der CDU – das Bürgergeld eingeführt und wollten stärker fördern. Der Haushaltsentwurf sah aber vor, dass an der Stelle gekürzt werden soll. Das war nicht sehr gut; aber am Ende haben es die Haushälter/-innen von Grünen, SPD und FDP hingekriegt, dass diese Kürzung rückgängig gemacht worden ist,
(Beifall der Abg. Kerstin Griese (SPD))
sodass die Jobcenter jetzt wieder genauso viel Geld zur Verfügung haben wie vorher und die Menschen weiterhin gut unterstützen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es gab einen weiteren Vorschlag im Entwurf der Bundesregierung betreffend den Rechtskreiswechsel von Jugendlichen zur Bundesagentur für Arbeit. Auch das fanden wir Parlamentarier nicht gut. Grüne, SPD und FDP sind dann auf den Arbeitsminister zugegangen. Er hat daraufhin einen anderen Vorschlag gemacht. Auch da hat die Ampel wieder gewirkt und einen guten Vorschlag gemacht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Beim Eingliederungstitel habe ich eine Bitte an den Finanzminister und an den Arbeitsminister. Es gab diesen Kürzungsvorschlag, der durchaus Schaden angerichtet hat. Ich würde Sie bitten, beim nächsten Haushaltsentwurf auf diesen Kürzungsvorschlag zu verzichten
(Zuruf von der CDU/CSU: Klare Ansage!)
und nicht wieder darauf zu setzen, dass er wieder vom Parlament korrigiert wird; denn das hat Schaden angerichtet, und es wäre besser, wenn man im Entwurf gleich mitberücksichtigen würde, dass wir das sowieso wieder rückgängig machen. Dann würde diese Verunsicherung, die es gab, nicht entstehen. Das wäre gut für die Planungssicherheit bei den Jobcentern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein weiterer Punkt, den wir nicht gut fanden, war, dass die Arbeitsagentur Zuschüsse in Höhe von 5 Milliarden Euro, die sie in der Coronazeit bekommen hat, wieder zurückzahlen sollte. Auch das wäre problematisch gewesen. Aber auch da hat die Ampel im Parlament geliefert. Das ist wieder rückgängig gemacht worden. Jetzt kann die Arbeitsagentur schneller ihre Rücklage wieder aufbauen; denn es könnte ja sein, dass irgendwann wieder eine schwere Krise kommt. Auch das ist wichtig für die soziale Sicherheit in Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie sehen, die Koalition ist handlungsfähig. Auch wenn die Regierung ausnahmsweise mal Vorschläge macht, die nicht gut sind, gibt es ein Parlament und selbstbewusste Abgeordnete von Grünen, SPD und FDP, die das wieder korrigieren. So funktioniert parlamentarische Demokratie.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)